Was ist eine Selbstdiagnostik?
Unter dem Konzept der Selbstdiagnostik wird im Folgenden das systematische und umfangreiche Vorgehen verstanden, das den wissenschaftlichen Standards einer klassischen Diagnostik nach Möglichkeit entspricht. Die Selbstdiagnostik hat dabei das Ziel, den eigenen Verdacht bzw. die eigene Vermutung zum möglichen Vorliegen eines Störungsbildes von unterschiedlichsten Seiten kritisch zu reflektieren, um sich selbst besser zu verstehen und als Resultat eine fundierte Vermutung über das mögliche Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen eines Störungsbildes (in diesem Fall: Autismus) anstellen zu können. Eine Selbstdiagnostik ist dabei häufig der erste Schritt in einem komplexeren Diagnostikprozess, zu dem auch die klassische Fremddiagnostik gehört. Diagnostik umfasst dabei mehr als das Ausfüllen eines Testverfahrens und das Zusammenrechnen der Punkte zu einer Gesamtpunktzahl. Keine Punktzahl in einem Testverfahren (unabhängig davon, wie hoch das Ergebnis ist) kann als ein endgültiger Nachweis einer Autismusdiagnose gewertet werden (siehe dazu auch das Kapitel zu den Testgütekriterien).
Unterschied: Selbstdiagnostik vs. Selbstdeklaration
Von zentraler Bedeutung ist es, die Selbstdiagnostik von der Selbstdeklaration (= Selbstbenennung) abzugrenzen. Eine Selbstdeklaration liegt dann vor, wenn sich bei einer Person nach kurzer und unsystematischer Recherche der Eindruck aufdrängt, autistisch zu sein und dann die Selbstbezeichnung "autistisch" gewählt wird, um die eigenen Auffälligkeiten zu beschreiben. Bei einer Selbstdeklaration wurde also keine systematische Recherche durchgeführt, es fand keine systematische Beschäftigung mit dem Störungsbild statt, fundierte Fachliteratur (z.B. Habermann & Kißler, 2022) zum Thema Autismus wurde nicht gelesen, bewährte und wissenschaftliche Testverfahren wurden nicht in einem ausreichenden Maße durchgeführt und es wurde nicht versucht, die eigenen Auffälligkeiten ggf. durch alternative Störungen oder Ansätze zu erklären. Alle diese Aspekte sind bei einer Selbstdiagnostik jedoch zwingend erforderlich. Denn im Rahmen der Diagnostik geht es um die systematische Erhebung von Informationen über das individuelle Verhalten und Erleben einer Person, um zu einem Resultat (der Diagnose) zu gelangen, wobei die Methoden, die zur Erhebung der notwendigen Informationen angewendet werden, wissenschaftlichen Standards genügen muss (Schmidt-Atzert et al., 2021). Genügen also die angewendeten Methoden diesen Standards nicht, so ist (unabhängig davon, ob es sich um eine Selbstdiagnostik oder Fremddiagnostik handelt) nicht von einer Diagnostik zu sprechen. In einem solchen Fall wäre der Begriff der Deklaration zielführend. So ergibt sich aus dieser Argumentation aber auch, dass neben der Selbstdeklaration auch eine Fremddeklaration denkbar ist.
Noch einmal zur Klarstellung: Die bloße Recherche auf TikTok oder YouTube zum Thema Autismus stellt keine Selbstdiagnostik dar. Auch das Ausfüllen eines einzigen Testverfahrens - selbst dann, wenn es ein anerkanntes Testverfahren ist - genügt nicht zu einer Selbstdiagnostik, wie im Folgenden ausführlich dargestellt wird. Zu einer Selstdiagnostik bedarf es deutlich mehr.
Aber die Erfahrung zeigt, dass die Personen, die sich selbst für autistisch halten und tatsächlich auch autistisch sind, sehr kritisch an die Selbstdiagnostik herangehen und einen immensen Rechercheaufwand betreiben. Häufig legen diese Personen dicke Ordner mit Unterlagen und Notizen an, deren Umfang erfahrungsgemäß sogar den Umfang der in einer klassischen Diagnostik anfallenden Unterlagen übersteigt. Daher ist eine systematisch durchgeführte Selbstdiagnostik nicht per se zu verteufeln, da sie durchaus eine gewisse Aussagekraft aufweisen kann und der Person selbst mehr Klarheit geben kann - Klarheit, welche die Lebensqualität der Person deutlich verbessern kann, weil sie sich endlich selbst besser zu verstehen lernt. Eine gute Selbstdiagnostik erfordert jedoch eine intensivste Beschäftigung mit den Themen Autismus und Diagnostik sowie mit angrenzenden Fachbereichen: So sind in jedem Fall fundierte Kenntnisse in der klinischen Diagnosestellung, Wissen über Differentialdiagnostik sowie Komorbiditäten und Fähigkeiten in der Durchführung von Testverfahren sowie in der Interpretation von Testergebnissen zwingend notwendig (DGKJP & DGPPN, 2016). Somit setzt eine Selbstdiagnostik nicht nur eine hohe intellektuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch Neugier, Ausdauer und Reflexionsvermögen voraus.
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