Im Rahmen einer Diagnostik sind Tests durchzuführen. Die Qualität bzw. Gültigkeit dieser Testverfahren kann jedoch erheblich variieren. So wird zum Beispiel das Testergebnis eines "psychologischen Tests" aus einer Klatschzeitung, wie man sie im Wartezimmer beim Arzt häufig findet, nicht die gleiche Aussagekraft haben, wie das Testergebnis eines umfassenden Testverfahrens, das wissenschaftlich fundiert entwickelt sowie evaluiert wurde. Diese unterschiedliche Wertigkeit eines Testverfahrens kann mit in der Wissenschaft üblichen Testgütekriterien beschrieben werden: Objektivität, Reliabilität und Validität.
Dabei bauen die Testgütekriterien aufeinander auf: Varlidität kann nur vorliegen, wenn Reliabilität vorliegt; Reliabilität kann nur vorliegen, wenn Objektiviät vorliegt. Dabei ist anzunehmen, dass kaum ein Testverfahren 100% objektiv sein wird und deshalb auch kein Test zu 100% reliabel sowie in der Folge auch nicht zu 100% valide sein wird - unabhängig davon, ob das Testverfahren im Rahmen der Selbst- oder Fremdidagnostik durchgeführt wird. Allerdings gibt es durchaus Testverfahren, die bei korrekter Testdurchführung eine höhere Reliabilität bzw. Validität aufweisen als andere Testverfahren. Daher ist es wichtig (unabhängig von der Art der Diagnostik) auf Testverfahren zurückzugreifen, die sich bewährt haben und als möglichst valide einzuordnen sind.
Im Folgenden wird nun dargestellt, was eigentlich unter den Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität zu verstehen ist. In diesem Kontext wird auch beispielhaft aufgezeigt, inwiefern im Rahmen einer Selbst- oder Fremddiagnostik Testergebnisse verzerrt werden können.
Objektivität
Unter Objektivität ist zu verstehen, dass das Testergebnis durch die Person, die den Test durchführt und auswertet, möglichst nicht beeinflusst wird. Selbstverständlich sind hier im Rahmen einer Selbstdiagnostik gewisse Verzerrungen zu erwarten (z.B. wenn ein bestimmtes Testergebnis gewünscht sein sollte oder wenn ein bestimmtes Testergebnis befürchtet wird). Allerdings werden im Rahmen einer Fremddiagnostik häufig die gleichen Testverfahren durchgeführt, die auch im Rahmen einer fundierten Selbstdiagnostik zum Einsatz kommen, nur dass in diesem Fall meistens nicht die Person selbst das Kreuzchen im Test setzt, sondern die Fachkraft, welche den Test durchführt. Allerdings bedeutet dies: Das Kreuzchen würde an der gleichen Stelle gesetzt werden - unabhängig davon, ob man das Kreuzchen mit der eigenen Hand setzt oder ob die Person, welche die Diagnostik durchführt, das Kreuzchen so setzt, wie man es ihr sagt, dass das Kreuzchen zu setzen ist. Aber selbstverständlich kann es sein, dass es in einer Interaktion mit einer anderen Person zu anderen Handlungen und Ankreuztendenzen kommt, als wenn man den Test selbst bzw. allein durchführt: So könnte es sein, 1) dass die zu diagnostizierende Person sich in der Interaktion tendenziell ehrlicher einschätzt, weil die Tendenz zum "Lügen oder Übertreiben" in der Interaktion mit einer anderen Person gehemmt ist, aber es könnte auch sein, 2) dass die zu diagnostizierende Person sich schämt, ehrlich zu antworten und somit bei der Angabe der eigenen Symptomatik deshalb "untertreibt" und in der Situation, in der sie den Test allein durchführen würde, ehrlicher antworten würde. Es zeigt sich also: Sowohl in der Situation der Selbstdiagnostik als auch in der Situation der Framddiagnostik kann es zu Prozessen kommen, welche die Objektivität (und somit letztendlich die Validität) eines Tests negativ beeinflussen können.
Um im Rahmen einer fundierten Selbstdiagnostik Objektivität bestmöglich herzustellen, ist es in aller Regel zielführend, die Testverfahren nicht nur selbst und allein durchzuführen, sondern auch nahe Angehörige, die einen gut kennen, um ihre individuelle und ehrliche Einschätzung zu bitten. Dies bedeutet, den Angehörigen die Testverfahren auszuhändigen und sie evaluieren zu lassen, ob sie bei einem Anzeichen sehen, die für Autismus sprechen. So kann sichergestellt werden, dass das, was man bei sich selbst sieht, auch von nahen Angehörigen, die einen gut kennen und aus einer anderen Perspektive betrachten, gesehen wird. Solche nahen Angehörigen können die Eltern, Geschwister, Freund:innen oder andere Personen sein, die einen gut kennen. Je besser und länger einen diese Angehörigen kennen, desto bessere und aussagekräftiger dürften ihre Einschätzungen in aller Regel sein - es sei denn, dass es ihrerseits verzerrende Faktoren gibt, welche ihre Objektivität bei der Bearbeitung der Testverfahren extrem beeinträchtigen. So gibt es beispielsweise Eltern, welche die Existenz von psychiatrischen/ neurologischen Störungen per se leugnen (z.B. weil man Sie im Gegensatz zu vielen körperlichen Behinderungen nicht direkt sehen kann) oder weil sie nicht eingestehen wollen, dass sie etwas derart Bedeutendes über lange Zeit (ggf. sogar über Jahre hinweg) nicht erkannt haben. So haben insbesondere viele Eltern von in der Kindheit und Jugend nicht diagnostizierten autistischen Personen (unbewusst) Angst, sich in der Erziehung vollkommen falsch verhalten und somit immense Fehler begangen zu haben, und streiten somit alle Auffälligkeiten (zunächst) ab. Manchmal kann es in solchen Fällen helfen, Eltern mitzuteilen,1) dass man weiß, dass sie das bestmögliche gegeben haben, 2) dass man ihnen keine Vorwürfe machen möchte, 3) dass es nichts an der Beziehung zu ihnen ändern wird, 4) dass man ihnen für alles, was sie für einen getan haben, dankbar ist, 5) dass man aber Klarheit darüber haben möchte, weshalb man sich wie ein Alien fühlt, wenn man sich mit anderen Menschen umgibt. Außerdem haben autistische Kinder nicht selten auch autistische Eltern: Möglicherweise sind den Eltern keine Besonderheiten aufgefallen, weil sie das spezifische Verhalten von sich selbst kennen.
Reliabilität
Unter Reliabilität ist zu verstehen, dass ein Test verlässlich ist und kein systematischer Messfehler gemacht wird. So sollte beispielsweise auch im Falle einer mehrfachen Testung stets das gleiche Ergebnis erzielt werden. Die Menge an Zufallesfehlern, welche das Ergebnis eines Tests verzerren, sollte also bei einem reliablen Testverfahren möglichst gering sein.
So ist zu erwarten, dass der IQ-Wert (der Intelligenzquotient) bei einer Person ein relativ stabiles Maß sein sollte (zumindest innerhalb eines Jahres). Dies bedeutet: Eine Person, die an einem Tag als hochbegabt eingestuft wurde, sollte am nächsten Tag (insofern kein Unfall o.ä. geschehen ist) nicht als intellektuell beeinträchtigt eingestuft werden, wenn an beiden Tagen der gleiche IQ-Test durchgeführt wird. Leichte Schwankungen von Testergebnisse (z.B. aufgrund der Tagesform) sind normal und zu erwarten, allerdings sollten diese möglichst gering ausfallen. Falls diese Schwankungen gering sind, so wird von einer hohen Reliabilität gesprochen. Solche Reliabilitätswerte sind also für die Testgüte insgesamt von hoher Bedeutung.
Bei bewährten wissenschaftlichen Testverfahren ist die Reliabilität in aller Regel nicht perfekt, aber ausreichend hoch. Bei unwissenschaftlichen Testverfahren hingegen (wie man sie z.B. in Klatsch-und-Tratschmagazinen findet) sind die Reliabilitätswerte hingegen meistens absolut ungenügend, was zur Folge hat, dass das Testergebnis sehr häufig keinerlei valide Aussagekraft hat. Daher ist es wichtig, auf möglichst bewährte Testverfahren zurückzugreifen, damit die Reliabilität der Testverfahren sichergestellt werden kann. Außerdem ist anzumerken, dass Reliabilität nur dann gegeben sein kann, wenn auch Objektivität gegeben ist: Sollte das Kriterium der Objektivität bereits in erheblichem Ausmaß nicht erfüllt worden sein, so ist eine Reliabilität quasi auszuschließen und somit das Testergebnis nicht aussagekräftig.
Validität
Unter Validität ist zu verstehen, dass man das, was man messen möchte, auch wirklich gemessen hat. Validität kann nur dann vorliegen, wenn Objektivität und Reliabilität im ausreichenden Maße gegeben sind. Sollten bereits erheblich Mängel ist der Objektivität und/ oder Reliabilität vorliegen, so kann Validität ausgeschlossen werden. Das Vorliegen von Objektivität und Reliabilität bedeutet aber nicht, dass Validität vorliegen muss. Validität bedeutet nämlich auch, dass das Testverfahren inhaltlich tatsächlich geeignet ist, um Aussagen über das Vorliegen von Autismus (liegt vor/ liegt nicht vor) machen zu können.
Anhand eines relativ absurden, aber leicht verständlichen Beispiels soll nun verdeutlich werden, dass bei Vorliegen von Objektivität und Reliabilität nicht zwingend auf Validität geschlossen werden kann. In diesem Beispiel soll mithilfe eines Fieberthermometers überprüft werden, ob Autismus vorliegt. Bei einem Fieberthermometer handelt es sich um eine Apparatur, die relativ unabhängig von der Person, welche die Messung durchführt, ein Ergebnis anzeigt: nämlich die aktuelle Körpertemperatur. So könnte es sein, dass das Fieberthermometer nun nach einer ordnungsgemäßen Messung (Messung unter Zunge bei geschlossenem Mund) bei einer Person 36,4°C anzeigt. Dieses Ergebnis würde vermutlich unabhängig davon erzielt werden, ob man selbst, ein Professor für Medizin, die eigene Oma oder der Nachbar die Messung durchführt. Somit sollte Objektivität in einem hohen Maß gegeben sein. Reliabilität würde bedeuten, dass das Testverfahren zu unterschiedlichen Testzeitpunkten (z.B. morgens, mittags, abends) zum gleichen Testergebnis führt. In unserem Beispiel würde eine Messung am Morgen z.B. 36,4°C, eine Messung am Mittag 36,2°C und eine Messung am Abend 36,5°C als Messdaten anzeigen. Es gibt somit leichte Schwankungen, die z.B. auf die aktuelle Außen- bzw. Raumtemperatur, den Grad der Anstrengung o.ä. zurückgeführt werden könnten, die allerdings relativ gering sind, sodass von einer ausreichenden Reliabilität auszugehen ist. Zuletzt ist die Validität zu bewerten. Hier ist mit Blick auf den gesunden Menschenverstand festzustellen, dass die Körpertemperatur kein valides Maß sein kann, um das Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung fundiert bewerten zu können. Es ist dem Autor außerdem keine seriöse wissenschaftliche Studie bekannt, aus welcher sich ein theoretischer Zusammenhang zwischen Autismus (ja/nein) und Körpertemperatur herleiten lässt. Somit liegen in diesem Beispiel eventuell Objektivität und Reliabilität vor, während das Testgütekriterium der Validität nicht erfüllt ist. Zusammenfassend ist das Fieberthermometer zur Feststellung einer Autismus-Spektrum-Störung daher nicht geeignet.
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